Zum dritten Mal (Tabuthema Fehlgeburt)

Kathrin Gastartikel 5 Comments

Zum dritten Mal gehe ich denselben Weg… Nur die Personen haben sich geändert: Anderer Arzt, neuer Partner… Eigentlich dachte ich bei dieser erneuten, nicht geplanten Schwangerschaft, das sie mir Glück bringt. Zehn Jahre nach der ersten Schwangerschaft, die ihr Ende knapp in der zwölften Woche nahm, war ich zum selben Zeitpunkt wieder schwanger…

Anfang Mai 2016 testete ich positiv. Wie bereits gesagt, ungeplant.

Trotzdem freuten wir uns nach kurzer Zeit. Jeder für sich still. Mein Partner hatte keine dunkle Vergangenheit in dieser Sache, unsere Tochter hat zwei gesunde (Halb)Brüder. Er hatte nur mich in der Schwangerschaft unserer Tochter erlebt, welche von Angst gefüllt war. Den Grund kannte er nur aus Erzählungen…

2006… die erste Schwangerschaft. Ich war sechzehn und hatte meinen ersten, richtigen Freund. Ein paar Wochen später befand ich mich beim Frauenarzt und sah auf dem Bildschirm ein Herz klopfen. Ich war wie von Sinnen. Ab da lief bei mir alles wie in einem Film. Eltern dagegen. Freund ein Muttersöhnchen, dessen Eltern bis heute nicht wissen, was damals gelaufen ist. Drei gegen eine… Ich kämpfte bis zum Ende der zwölften Woche, aber knickte beim zweiten Termin in der dafür zuständigen Praxis ein. Vergessen werde ich diese Wochen nie, denn für mich war es bereits ein Kind, um was ich da gekämpft hatte.

Vier Jahre dauerte das Verarbeiten… Ich versuchte alles, um diese unbändige Leere los zubekommen: Selbsthilfegruppen, Gottesdienste speziell für diesen Bereich, ich redete und redete, war auch noch einmal bei dem damals behandelten Arzt. Ich versuchte alles. Nichts half. Nach drei Jahren ging die Beziehung zu Ende.

Ehe ich mich versah, war ich mit meinem neuen Freund wieder schwanger, aber es sollte nicht lange gut gehen. Knapp in der siebten Woche verlor ich das Sternchen… Keiner war da und wieder hieß es: „Besser so!“

Natürlich war es besser so! Aus heutiger Sicht, Gott sei Dank! Aber verdammt nochmal diese Erfahrungen wollte ich nicht machen. Wieder diese Leere… Nun doppelt… Ich hatte zwei Sternchen. Fühlte mich mies.

Ich war bei jeder Schwangerschaft sofort mit dem Herz dabei. Ich stand für dieses Kind ein. Und diese erste Fehlgeburt, nachdem ich mein erstes Kind weggeschickt hatte, war für mich wie ein Stich. Wie eine Strafe. Immer wieder diese Stimme: „Erst wolltest du nicht – nun bekommst du es nicht!“ Kein Mensch verstand mich, also vergrub ich meine Gedanken.

2011 lernte ich meinen Mann kennen. Wir überstanden vieles in der Anfangsphase. Wir hatten beide eine chaotische Zeit hinter uns. Mussten uns finden. Er brachte zwei Söhne mit in die Beziehung und ich merkte trotz der ganzen Umstände, dass es schön wäre, wenn es dieses Mal passieren würde… Dieses Mal gewollt.

Doch in mir brodelte es immer noch… Auch jetzt, während ich hier schreibe, merke ich wie es in mir arbeitet…

Um zu wissen das körperlich alles in Ordnung ist, wäre ich zu dem Zeitpunkt gerne zum Frauenarzt gegangen, aber leider hatte ich durch diese zwei vorzeitig beendeten Schwangerschaften das Vertrauen in die Ärzte verloren. Natürlich konnten sie nichts dafür, aber trotzdem ging ich nur noch sehr ungern dort hin. Ich hatte vor allem Angst davor die leere Gebärmutter zu sehen… Wo kein Herz pocht oder ein kleiner Embryo herum wuselt… Beim Gedanken daran kam dieses leere Gefühl in mir gleich noch mehr hoch…

Drei Jahre dauerte es… In einem Monat, als es absolut gar nicht passte, wir überhaupt nicht daran dachten, machte sich unsere Tochter auf den Weg. Anfang fünfte Woche stand ich bei einer Frauenärztin auf der Matte. Man sah fast nichts. Drei beschissene lange Woche und Termine später sah man endlich das Herz. Ich war fast beruhigt, als ich wieder zu bluten anfing… Dieses Mal war es ein Hämatom. Knapp sechs Wochen ging das Spiel, bis ich in der vierzehnten Woche eine Sturzblutung hatte… Ab ins Krankenhaus, zum fünften Mal in der Zeit. Hämatom nicht mehr sichtbar. Keks da. Super! Eigentlich…

Ich hatte trotzdem furchtbare Angst das etwas schief geht. Ich war wahnsinnig oft beim Frauenarzt. Hatte zusätzlich jeden Monat einen Termin bei meiner Hebamme. Bis sich am Ende der Schwangerschaft unsere Tochter auf den Weg machte…

Ich war erlöst. Endlich hatte ich mein Baby im Arm. Endlich hatte ich eine Schwangerschaft bis zum Ende gebracht.

Ich konnte mit dem Kapitel abschließen, meine Sternchen waren trotzdem bei mir… Meine … unsere Tochter schaffte es, dass ich endlich Frieden schließen konnte. Ich dachte mir: „Wenn ich auf sie hab warten müssen, dann habe ich das gern getan!“ Sie löste einen Knoten…

Bis zu dem Zeitpunkt, als ich wieder einen positiven Test in der Hand hatte… Ungeplant… Wir waren mega überrascht. Der Zyklus war verschoben und somit hatte sich jemand eingeschlichen. Mein „heimlicher“ Wunschgedanke nach einem zweiten Kind wurde unerwartet erfüllt. Auch mein Mann freundete sich mit dem Gedanken an.

Ich erzählte es relativ früh meiner Familie, so freute ich mich. Unerwarteter Weise freute sich dort auch jeder.

Knapp anderthalb Wochen nach dem Test hatte ich einen Termin bei einer neuen Frauenärztin. Leider war sie nicht selbst da, sondern eine Vertretung. Meine Rechnung war circa siebte Woche.

Ich beziehungsweise wir (mein Mann hatte sich für den Tag Urlaub genommen, um bei dem Termin mit dem Keks dabei sein zu können) warteten und dann war es soweit. Ich saß auf dem Stuhl.

Der Arzt suchte und suchte und fand… Nichts… Viel Rätselraten… Schleimhaut gut aufgebaut, aber mehr nicht… Ich rechnete nochmal… Er auch… Circa siebte Woche sollte es sein… Ich ging auf’s Klo… Blase entleeren… Noch einmal auf den Stuhl… Und man sah etwas… Minimal… Nicht zeitgerecht für die Woche… Eher Ende vierte Woche…

Ich solle noch einmal wiederkommen. Dann sähe man weiter. Ich machte einen neuen Termin. Eine Woche später. Und wir gingen. Ich war geknickt, noch dazu hatte ich ein komisches Gefühl… Mein Mann verstand meine Sorgen nicht und meinte ich solle mich doch freuen, auch wenn es noch recht früh wäre.

Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Ich dachte an nichts anderes. Versuchte mich mit meiner Tochter abzulenken, aber das Gefühl ging nicht weg. Es stimmte was nicht. Ich rief meine alte Hebamme an und machte mit ihr schon mal einen Termin für die kommenden Vorsorgeuntersuchungen. Und redete mit ihr über meine Ängste… Wieder mal… Sie riet mir, den Termin zu verschieben. Dem Krümel Zeit zu geben.

Ich hörte darauf und rief bei der nächsten Gelegenheit bei meiner Frauenärztin an, um den Termin nach hinten zu verlegen.

Jeder Tag gab mir mehr Hoffnung. Ich erinnerte mich an die Schwangerschaft meiner Tochter und das gab mir Kraft. Dann kamen wieder Tage, die eher das Gegenteil waren. Die Zeit war zäh.

Ein unangenehmer Geruch aus der unteren Region verfrachtete mich dann doch eine Woche später wieder zum Arzt, wieder die Vertretung. Er kontrollierte und stellte einen Pilz fest. Dann schaute er nach dem Krümel. Und man sah wieder nur… Wenig… Wieder nur eine kleine Bohne. Und das auch erst nach längerem Suchen. Etwas gewachsen, aber immer noch nicht zeitgerecht und auch das Wachstum selbst wäre langsam.

Ich hörte nicht hin… Man sah was. Für mich war es gewachsen. Ich hatte keine Blutungen. Anzeichen waren da, es MUSSTE alles passen…

Wir gingen wieder. Einen neuen Termin hatte ich nun erst wieder bei meiner Frauenärztin.

Da war es Freitag… Die ganze Woche schon merkte ich immer wieder ein Ziehen und Stechen. Aber ab Freitag stärker… In der Früh fühlte es sich an wie Regelschmerzen. Ich schob es weg… Und wir planten unser Wochenende…

Samstag kauften wir ein. Wieder das Ziehen zwischendurch… Wieder daheim stellte ich auf dem Klo Blutungen fest… Eher schmierig… Aber deutlich… Bei mir schnappte ein Schalter um…

Ich wollte ins Krankenhaus… Sofort… Nach kurzer Überzeugung gingen wir. Mein Mann eher entnervt. Er wolle nicht wieder so oft dahin wie in der letzten Schwangerschaft…

Ich meinte noch: „Nein diesmal nicht!“

Nach kurzem Warten waren wir dran. Ich wurde wieder untersucht. Alles beim Alten. Die Ärztin fand den Krümel unverändert vor, aber kein frisches Blut. Erleichterung bei mir.

Ich solle mich schonen und Anfang der Woche wieder kommen.

Die Blutung war schwach, aber begleitete mich das ganze Wochenende. Ich schwankte zwischen Hoffnung und der aufkommenden Leere, die sich immer breiter machte…

Meine… unsere Tochter wurde noch mehr zum Schatz. Ich hielt sie noch fester an der Hand. Schöpfte wieder Kraft aus ihrer Schwangerschaft.

Montag wurden die Blutungen wieder mehr… Langsam war ich mir sicher auf was ich da zusteuerte… Ich fuhr mit meiner Tochter zu den Großeltern. Meine Mama versuchte noch mich aufzubauen. Auch von meinem Mann kamen immer wieder Nachrichten…

Der Tag verging und die Blutungen blieben. Mal schwach… Mal stark… Am nächsten Tag würde ich zur meiner Frauenärztin gehen…

Am nächsten Morgen machte ich uns fertig und ehe ich mich versah, waren wir im Behandlungszimmer… Noch immer hatte ich Blutungen… Mein Keks war diesmal mit am Stuhl… Und so sahen wir zum letzten Mal den Krümel…

Die Ärztin machte mir klar, dass das nichts mehr werden würde… Es war eine Frage der Zeit, bis die Fruchtblase herauskäme… Die Blutungen hatten ja schon angefangen… Sie gab mir zwei Wochen, damit es mein Körper selbst lösen könne… Wir machten einen neuen Termin…

Der Keks und ich verließen die Praxis… Ich schrieb meinem Mann… Und wir machten uns auf den Weg in die Stadt… Bummeln…

Ich war wie benebelt… Stark wollte ich für den Keks sein… Immer wieder schossen mir die Tränen in die Augen… Die Stadt war an dem Morgen so friedlich…

Ich merkte wie die Blutungen immer stärker wurden… Gegen Mittag gingen wir nach Hause. Der Keks schlief auf dem Weg dahin in der Trage am Rücken ein. Ich war immer noch total von Sinnen. Als wir daheim waren, informierte ich meine Eltern. Immer mehr merkte ich die kommende Leere… Mittlerweile blutete ich stark. Ich kuschelte mich mit dem Keks auf das Sofa. Wir schauten Bücher an. Beschäftigten uns zusammen. Währenddessen merkte ich wie mein Körper in Auffuhr war…

Irgendwann ging ich auf Toilette und da kam sie… Die Fruchtblase… Ich setzte mich auf den Badewannenrand und sah in die Toilette… Eine gefühlte Ewigkeit später riss mich der Keks aus meinen Gedanken und ich spülte…

Keine vier Stunden nach dem Frauenarzttermin hatte ich das Gröbste überstanden… Körperlich…

Am Nachmittag ging ich mit dem Keks noch einkaufen. Nur kurz, denn ich merkte, dass mein Körper die ganze Kraft für eine Sache brauchte…

Dieser Tag, an dem der Krümel ging, endete chaotisch… Mein Mann kam gegen 18 Uhr Heim… Total durcheinander… Grün und blau… Zu allem Übel hatte er einen Fahrradunfall… Nie werde ich vergessen wie er planlos neben mir und Keks am Sofa sitzt und ihm die Tränen laufen… Es tut weh die andere Seite so zu sehen… Und trotzdem in einen Spiegel zu schauen… Wir redeten noch viel an dem Abend…

Eine Ausschabung brauchte mein Körper nicht. Er regelte es alleine.

Ein paar Tage ist es her, dass ich diesen Text angefangen habe. Ich hab Kraft gebraucht, um ihn zu Ende zu führen. Das dritte Sternchen ist für mich wie ein Schlag gewesen. Das kam nicht gleich. Nach der Fehlgeburt war ich neutral oder besser gesagt diese Leere hatte mich aufs Neue im Griff… Es ist schwierig zu begreifen… Die ersten Tage danach machte ich abends mehrere Sachen auf einmal, sobald der Keks im Bett war. So kam nie die Gefahr auf, dass ich anfangen würde zu denken… Irgendwann klappt das nicht mehr. Und im Umfeld war der Zug abgefahren. Der Zug abgefahren, um zu reden… Mein Partner schaute nach vorne. Das liebte ich ja eigentlich an ihm… Und ich wusste auch nicht wie ich es sagen sollte… Was die Fehlgeburt mit mir gemacht hatte… Ich bin wahnsinnig froh meine ..unsere Tochter an der Hand zu halten… Aber es sticht… Und immer wieder kommen diese Fragen in mir hoch: „Wieso dreimal? Wieso dreimal der falsche Zeitpunkt… Und wieso musste es nochmal passieren, nachdem ich unsere Tochter auf die Welt gebracht hatte?“

Der Wunsch nach einem zweiten Kind ist immer noch da… Nur mein Gefühl sagt mir momentan, dass das entweder sehr lange dauern wird oder gar nicht mehr passiert… Es sind zu viele Hürden in meinem Kopf… Vor allem ist die Angst um das nicht geborene, nicht vorhandene Kind jetzt schon so groß, dass sich da doch sicher keiner Wohl fühlen kann und vor allem auch nicht bleibt… Oder doch?

Sternenkind

An dieser Stelle möchte ich mich von ganzem Herzen bei meiner anonymen Gastautorin bedanken. Dafür dass sie den Mut aufbrachte, ihre traurige Geschichte hier zu erzählen und dass sie damit das Tabuthema Fehlgeburt einmal mehr zum Thema macht. Ich würde mich freuen, wenn die Betroffenen unter Euch unter diesem Beitrag kommentieren (gerne auch anonym), um zu zeigen, wie viele Frauen es betrifft und um einen aufbauenden Austausch unter Gleichgesinnten anzuregen.

Die wunderschöne Zeichnung stammt übrigens von Monik Löbel. Sie hatte das Bild in der empfehlenswerten Facebookgruppe „Fehlgeburt, Totgeburt, Folgewunder, Schwangerschaft, Kinderwunsch“ gepostet, in der betroffene Frauen von Gleichgesinnten emotional aufgefangen werden und sich ihren Schmerz von der Seele schreiben können, wenn ihnen danach ist.

Eure Kathrin

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