Ein leichtes Ziehen breitete sich gestern Morgen in meiner Magengegend aus, als ich die deutsche Zusammenfassung einer australischen Studie zum Thema Schlaflernprogramme (speziell die Ferber-Methode) las:
„Das Ergebnis der Studie beruht auf einer Unterteilung von 43 Kindern in drei verschiedene Gruppen. Die erste Gruppe bestand aus Babys, die nach der Ferber-Methode schlafen lernen. Die Kinder der zweiten Gruppe werden durch positive Rituale wie einem beruhigendem Bad, ruhigem Spielen und Gute-Nacht-Geschichten zum Einschlafen gebracht. Die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe. […]
Die Wissenschaftler maßen sowohl die Schlafzeiten der Babys als auch die ausgeschütteten Stresshormone am folgenden Morgen. Die Kinder der Ferber-Methode schliefen im Vergleich schneller ein. Zudem schliefen sie ruhiger und insgesamt 20 Minuten mehr als die Kinder der anderen beiden Gruppen. […] Der am nächsten Morgen im Speichel gemessene Anteil des Stresshormons Cortisol zeigte hingegen nur minimale Unterschiede im Vergleich der drei Testgruppen. Babys, die nach der umstrittenen Ferber-Methode an ein Durchschlafen gewöhnt werden, weisen demzufolge keinen höheren Stresspegel auf als Kinder, die mit vergleichsweise sanfteren Methoden beruhigt werden.“ (Quelle: Frauenzimmer.de“).
Da hat sich nun also tatsächlich jemand die Mühe gemacht, Kinder zu Forschungszwecken in den Schlaf schreien zu lassen, um herauszufinden, dass die ganze Aufregung über die negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Babys scheinbar umsonst ist. Schreien lassen verhilft angeblich nicht nur zum schnellen Einschlafen, nein die Babys schlafen auch noch länger und sie nehmen die Prozedur sogar mit äußerster Gelassenheit, so zumindest das Fazit.
Wie wenig ich von Schlaflernprogrammen zu Schlaftrainingszwecken halte, habe ich bereits in verschiedenen Artikeln erläutert. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass Kinder das Ein- und Durchschlafen mit etwas Geduld von ganz alleine und zwar in ihrem Tempo lernen und dass Schlaflernprogramme wie das Ferbern schrecklich sind.
Mal davon abgesehen, dass ich eine Studie mit 43 Babys nicht für sehr aussagekräftig halte und ich mich zudem wundere, warum der Speichel erst am nächsten Morgen und nicht bereits während der akuten Stresssituation (also während des Schreienlassens) auf den Cortisolgehalt hin überprüft wurde, erkenne ich im Augenblick nur einen einzigen Vorteil an dieser Studie. Und zwar, dass die Mütter, die kurz davor stehen, sich oder ihrem Kind etwas Schlimmes anzutun (weil sie ein Schreibaby haben oder aufgrund von Schlafmangel am Rande der Erschöpfung und Verzweiflung stehen), ihr Kind eine zeitlang ablegen und schreien lassen können, ohne vom schlechten Gewissen zerfressen zu werden. So wie die Autorin dieses herzzerreißenden Gastbeitrages: „10 Monate Schreibaby – ein schmerzhafter Rückblick“
Für alle diejenigen, die ihre Kinder allerdings zu „Erziehungszwecken“ schreien lassen, also damit es lernt, dass sein Schreien nicht durch eine Reaktion „belohnt“ wird, ist diese Studie ein Freifahrtschein, es nun erst Recht zu tun. Gemäß dem Motto: „Habe ich doch gesagt, dass es uns auch nicht geschadet hat!“
Das bereitet mir große Magenschmerzen, vor allem weil ich Müttern begegnet bin, die mit einem Lächeln auf den Lippen erzählten wie sehr das Kind in seinem Bettchen protestiert habe und dass sie einfach ein paar Zimmer weiter das Radio laut gestellt haben, oder sich Ohropax in die Ohren gesteckt oder gar die Wohnung für einen ausgedehnten Spaziergang verlassen haben, während der Partner das Programm durchzog.
Jede Familie hat das Recht ihren Weg zu gehen und wenn dieser bedeutet das eigene, geliebte Kind allein im Dunkeln zurückzulassen, damit es das Schlafen lernt, dann kann das leider niemand ändern. Doch ich finde, dass jeder, der sich bewusst dafür entscheidet, seinem Kind auf diese Weise das Schlafen beizubringen, den Arsch in der Hose haben sollte, sich das Schreien in vollem Umfang anzuhören. Sich einfach aus dem Staub zu machen, während sich der Nachwuchs verzweifelt die Seele aus dem Leib schreit, ist unfair und feige. Wenn das Kind schon durch solch ein Programm muss, dann bitte in Hörweite bleiben und mitleiden.
Denn wer das stundenlange Weinen eines so winzigen, hilflosen Geschöpfes (die Testkinder waren 6 – 16 Monate jung) unbeeindruckt aushält, für den sind Schlaflernprogramme scheinbar genau die richtige Lösung. Wer jedoch schon beim Gedanken daran eine Gänsehaut bekommt und spätestens beim ersten intensiven „Rufen“ am liebsten mitweinen, zu seinem Kind gehen und es in den Arm nehmen möchte, sollte doch BITTE diesem natürlichen Impuls weiterhin folgen und sich durch keine Studie der Welt davon beirren lassen!
Schließlich gibt es Dinge, die sich einfach nicht messen lassen, Gefühle beispielsweise. Wir hätten so gerne Zahlen, die eindeutig zeigen, ob Schlaflernprogramme einem Kind schaden oder nicht. Doch wie lässt sich Leiden messen? Oder psychische Not? Mich interessieren medizinische Daten wie der Cortisolspiegel meines weinenden Kindes nicht, denn wenn ich in seine Augen schaue, dann weiß ich auch ohne Messwerte, dass es sich nicht sonderlich gut fühlt. Und ich spüre auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen, dass es ihm sofort besser geht, wenn ich es tröste.
Ich gebe zu die News aus Australien klingen wirklich verlockend und wer hätte nicht gerne ein schnell und vor allem selbstständig einschlafendes Kind? Ich würde da sicherlich auch nicht nein sagen. Doch das geschieht beim sogenannten „Ferbern“ nun mal nicht auf Knopfdruck, sondern es erfordert das Bewältigen einer großen Hürde. Ich muss nämlich die Bedürfnisse meines Kindes, das mir vertraut und von mir abhängig ist, ignorieren. Unter Umständen viele, viele Abende lang – Abende, an denen es sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften gegen dieses „Alleingelassenwerden“ wehrt.
Vielleicht bin ich ein „Weichei“ oder „selber Schuld“, aber ich schaffe es nicht diese Hürde zu nehmen. Außerdem habe ich immer im Hinterkopf, dass es für Methoden, die viel Gewalt erfordern (für mich fällt das bewusste Missachten von verzweifelten Hilferufen unter seelische Gewalt), sicherlich sanftere Alternativen gibt.
Vielleicht brauchen unsere Nestlinge länger bis sie einschlafen und vielleicht schlafen sie deswegen nachts weniger lang als andere Kinder. Doch uns ist das egal. Das ist uns genau so schnuppe wie die Tatsache, dass beide immer noch unsere Einschlafbegleitung bekommen und das obwohl unser Mädchen bald fünf wird.
Für uns zählt nur, dass beide mit einem positiven Gefühl ins Bett gehen, weil sie unsere Nähe bekommen, die sie ganz offensichtlich genießen. Die Große kuschelt sich eng an Papa, während er ihr Gute-Nacht-Geschichten erzählt und zwar solange bis sie friedlich einschlummert. Und der Kleine (18 Monate) krabbelt immer freiwillig ins Bett und wartet mit seinem Grübchen-Grinsen darauf, dass ich mich neben ihn lege und ihn in den Schlaf stille. Was ich jeden Abend ebenfalls schmunzelnd tue.
Für uns zählt außerdem, dass das Mädchen nachts mittlerweile so tief und fest schläft, dass wir neben ihr eine Bombe hochgehen lassen könnten. Sie hat das Durchschlafen ohne unser Zutun, ohne Druck und Zwang – quasi von ganz alleine – gelernt. Nur hat es eben ein Weilchen gedauert…
Unsere Methode mag zeitaufwendig sein und nicht sonderlich effizient – allein für die Einschlafbegleitung benötigt jeder von uns etwa 20-40 Minuten (manchmal auch viel länger), um einen einzigen Nestling in den Schlaf zu befördern. Das ist in unserer optimierten und gewinnorientierten Welt wohlmöglich eine mittlere Katastrophe. Aber diese Zeit schenken wir unseren Kindern gerne. Nicht weil wir uns irgendwas davon versprechen (besonders tolle Fähigkeiten oder Charakterzüge), sondern weil wir unsere Kinder nicht mit ihren Ängsten alleine lassen wollen und weil wir diese innigen Momente genießen.
Ich möchte unsere Bettrituale nicht rosarot malen, denn es gibt natürlich Abende, an denen wir uns wünschen, dass sie schneller einschlafen und so manche Nacht, in der ich einfach nur mal ungestört durchschlummern möchte – denn das habe ich seit der Geburt des Mädchens (also fast 5 Jahre) nicht mehr getan. Aber auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Es ist nur eine sehr kurze Zeit, in der uns unsere Kinder so sehr brauchen und in der sie so ein schmusiges Prozedere überhaupt mitmachen. Der Tag, an dem wir nerven und sie von sich aus viel Abstand suchen, wird ganz bestimmt bald kommen.
Also wenn ihr wieder mal total übermüdet und genervt seid, dann lest euch „Warum Babys nicht durchschlafen“ durch. Zu wissen, was dahinter steckt und dass es vielen anderen genau so geht, kompensiert zwar nicht den Schlafmangel, aber tut gut. Sucht euch jemanden zum Reden – andere Mütter, denen es ähnlich geht/ ging oder professionelle Ansprechpartner wie Hebammen, Stillberater oder Mitarbeiter der Schreiambulanz – je nach Problemfall kann es schon helfen, sich mal ordentlich auszuheulen, im besten Fall bekommt ihr noch ein paar gute Anregungen. Sorgt für Entlastung – sprecht eure Freunde und Familie an, damit ihr wenigstens einen Tag lang durchschnaufen könnt oder besorgt euch eine Langzeitlösung wie eine Putzfee (selbst wenn es nur 1-2 Stunden Hilfe pro Woche sind – kann sich das sehr erleichternd anfühlen). Und wenn gar nichts hilft, euch niemand etwas Arbeit oder gar das Kind abnehmen kann, eure Nerven total blank liegen, dann vielleicht „mit Ohrstöpsel neben das schreiende Baby legen, wenn es getrunken hat. Denn alles ist besser als alleine schreien lassen“ (Mama notes).
Weiterführende Links:
Erfahrungsbericht Schreibaby
Schlaflernprogramme: ein Blick hinter die Schreikulisse
Hebammenblog.de: Lieber Ferbern als Schütteln
Nora Imlau: Was ich von Anette Kast-Zahn über das Ferbern gelernt habe
Rabeneltern.org: Hauptkritikpunkte am Bestseller „Jedes Kind kann schlafen lernen“ und am sogenannten „Ferbern“