Einheitsbrei Beikostempfehlung

Kathrin Beikost 19 Comments

In Hinsicht auf die Beikosteinführung haben Babys in Deutschland wenig zu lachen. Frühestens ab dem 4. Monat, jedoch spätestens mit dem 6. Monat ist es soweit: eine optimale Ernährung muss her und was kann optimaler sein als eine Portion Gemüsebrei zum Mittag? Vielleicht ein Obstgetreidebrei am Nachmittag oder ein extra sättigender Getreidemilchbrei – „ideal vor dem Schlafengehen“ – am Abend?[1]

Ohne viel Zeit zu verlieren, wird Löffel für Löffel eine komplette Milchmahlzeit nach der anderen durch Püriertes ersetzt, ob das Baby möchte oder nicht, denn schließlich gibt es einen straffen Plan einzuhalten! Wir bestimmen wo es lang geht und wehe die Kleinen ziehen nicht mit! Obwohl es keine „detaillierten Ernährungsempfehlungen für Kinder gibt, die zugleich wissenschaftlich fundiert sind,“ scheinen sich vermeintliche Experten einig zu sein: Einerseits sei Stillen das Beste und jede Mutter solle versuchen so lange wie möglich zu stillen.[2] Andererseits reiche Muttermilch über den 6. Monat hinaus als einziges Nahrungsmittel nicht aus, so dass Eisen und andere wichtige Nährstoffe angeblich in Form von Brei zugeführt werden müssen![3] Um diesen, bereits weit verbreiteten, Irrglauben zu unterstreichen, verteilen Ärzte und Hebammen kurz nach der Geburt Informationsblätter zur Beikost, die Mütter schon an das Abstillen erinnern noch bevor das Trinken an der Brust richtig angefangen hat.

Unsere Ernährungsexpertin

Unser Mädchen und der Brei – nach wenigen Löffelchen hatte sie genug.

Perfektionistisch wie ich bin und unwissend wie ich war, machte ich mich natürlich daran diesen Fahrplan einzuhalten. Der Anblick von Brei essenden Babys war für mich so selbstverständlich wie der von im Wasser schwimmenden Fischen. Es wäre mir niemals in den Sinn gekommen die Richtigkeit dieser Praxis anzuzweifeln. Dennoch fühlte ich mich auf unerklärliche Weise unter Druck gesetzt und baute unbewusst mächtige Erwartungen auf… Die Enttäuschung folgte prompt. Unser Mädchen hielt sich natürlich nicht ansatzweise an „unser“ Vorhaben! Nach wenigen Tagen war absehbar, dass sie nicht vor hatte 200 g Brei zu sich zu nehmen: weder mittags und schon gar nicht drei mal am Tag! Noch bevor ich anfangen konnte an meinen Fähigkeiten als Mutter und Köchin bzw. am Essverhalten unserer Tochter zu zweifeln, klinkte Thomas sich mit einer entscheidenden Fragen ein: „Was passiert denn, wenn sie jetzt noch keinen Brei ist?“ „Ja, was soll schon passieren?“, antwortete ich ein bisschen beleidigt, schließlich besaß ich doch den Masterplan. Aber Thomas hatte Recht, unser Mädchen wurde satt von meiner Milch. Warum sollte ich sie also zum Breiessen zwingen? Wozu sollte ich Brei kochen, wenn sie doch viel lieber mit Obst- und Gemüsestückchen hantierte? Wäre es nicht vernünftiger ihr weiterhin Fingerfood anzubieten? (Siehe auch Mit Essen spielt man nicht! Oder doch?) Und wenn ja, würde sie je satt werden davon? Bekommt sie genügend Nährstoffe, wenn sie die Stücke nur anlutscht? Ist es in Ordnung länger als 6 Monate zu stillen? Oder sollte ich doch konsequent Brei füttern? Fragen über Fragen, die mich zunächst an den Anfang unseres Beikostweges zurück warfen.

Beikost = Breikost? Eine Frage der Definition

Es war an der Zeit für eine Begriffsklärung! Im Englischsprachigen Raum ist von „solids“ (feste Nahrung) die Rede, bei den Spaniern spricht man von „alimentación complementaria“ (ergänzende Nahrung) und wir benutzen üblicherweise das Wort Beikost für die erste Nahrung, die ein Baby zusätzlich zur Muttermilch erhält, egal ob „so flüssig wie Kamillentee oder so fest wie ein Keks.“[4] Mit Beikost ist also im wörtlichen Sinne alles gemeint, was zur KOST des Babys (= Muttermilch) BEIgefüttert wird. Dazu kann Brei gehören, muss er aber nicht.

Ein Babyleben ohne Brei?

Diese Erkenntnis beantwortete mir gleichzeitig eine weitere Frage: Wie haben die Babys unserer Urahnen wohl ohne Pürierstab und Löffelchen überlebt? Es ist anzunehmen, dass Säuglinge damals erhielten, was die Natur hergab, „mundgerecht zerlegt oder vorgekaut“ und zwar ergänzend zur Muttermilch.[5] Dass jedes Steinzeitbaby zuerst Karotte, dann Karotte-Kartoffel und anschließend Karotte-Kartoffel-Fleisch in genau dieser Reihenfolge bekam, wage ich zu bezweifeln. Das Stillen als Ernährungsbasis für Babys über 6 Monate in Frage zu stellen und ganze Brustmahlzeiten in Rekordzeit (sprich innerhalb weniger Tage) durch exakt vorgeschriebene Lebensmittel zu ersetzen ist eine Unart unserer Kultur, in der ohne Rücksicht auf Verluste Regeln eingeführt werden, wo keine notwendig sind.[6] Viele Babys sind mit einem halben Jahr völlig überfordert mit fester Nahrung, wenn sie davon satt werden müssen, genauso wie die weibliche Brust nicht dafür geschaffen ist, als Vorratsbehälter zu fungieren. Eine Brust kann nicht ahnen, dass plötzlich Karotte statt Milch auf dem Plan steht und produziert fleißig weiter, was nicht selten in einem Milchstau endet.

Abstillen und Zufüttern – eine Frage des Kindes

Zuerst einmal ist es wichtig zu wissen, dass Kinder problemlos im gesamten ersten Lebensjahr von Muttermilch satt werden können, ohne irgendwelche Mangelerscheinungen zu erleiden, denn Muttermilch nährt besser als irgendetwas anderes.[7] Ob Frau so lange stillen möchte, ist eine andere Frage.

Zweitens ist es unsinnig, sich an irgendwelche Pläne zu halten, seien es Zeit-, Mengen- oder Lebensmittelpläne. Zeigt ein Kind Interesse an fester Nahrung, kann diese (als Fingerfood oder Brei) angeboten werden – auch mehrmals am Tage und egal wie alt das Kind ist. Ich betone: zeigt das Kind Interesse, nicht die Eltern! Will ein Kind dagegen auch in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres noch nichts von der Erwachsenenkost probieren, ist das völlig in Ordnung, solange es gesund ist und einen lebhaften Eindruck macht.

Drittens gibt es Babys, die sehr gerne Brei mögen, während andere ihn direkt wieder ausspucken und stattdessen Nahrungsmittel „am Stück“ bevorzugen. Beides ist möglich und beides sollte akzeptiert werden.

Viertens: jedes Kind is(s)t anders! Entscheidet sich ein Kind für feste Nahrung, egal in welcher Form, wird im Laufe der Zeit aus anfänglich kleinen Mäusebissen eine ausreichend sättigende Portion: Das Kind stillt sich nach und nach – ganz in seinem individuellem Tempo – ab.[8] Auf diese Weise werden alle Milchmahlzeiten am Tage in kleinen Schritten durch richtige Speisen ersetzt. Ein fließender Prozess, der bei manchen Kindern schon im 7. Monat und bei anderen vielleicht erst mit einem Jahr oder später vollzogen ist.

Zu guter Letzt ist das vom Baby gesteuerte Abstillen (auch Baby lead weaning genannt) in vielerlei Hinsicht von Vorteil für Mutter und Kind. Kinder dürfen essen, müssen aber nicht und entwickeln so ein gutes Hunger- und Sättigungsgefühl. Kinder werden nicht unter Druck gesetzt und Mütter geraten nicht in Sorge, denn Muttermilch wird selten verschmäht. Eltern kommen demzufolge gar nicht erst in die Verlegenheit, Kinder zum Essen zu zwingen, so dass Machtkämpfe von vornherein ausgeschlossen werden und ein gesundes Verhältnis zu Nahrung aufgebaut werden kann. Außerdem verlieren Kleinkinder, die zusätzlich zur Beikost gestillt werden im Krankheitsfall seltener an Gewicht. Während feste Kost meist verweigert wird, trinken Kinder auch im Krankheitsfall noch gerne an der Brust.

Beikost – eine Vertrauenssache

„Vertrauen sie ihrem Kind!“ ist ein Satz, der mich nachhaltig geprägt hat.[9] Geäußert hat ihn der spanische Kinderarzt González (mein Retter in der Breinot) in seinem Buch „Mein Kind will nicht essen“, meiner Ernährungsfibel in unserer Beikostzeit. Kinder wissen, ob und vor allen Dingen wann sie Hunger haben. Sie spüren instinktiv, was und wie viel gut für sie ist, vorausgesetzt sie dürfen aus einem gesunden Lebensmittelangebot wählen.[10] Zeit also, den Blick vom unflexiblen Beikostzettel zu heben und auf unsere Kinder zu richten, die in Ernährungsfragen wesentlich kompetenter sind, als wir oftmals meinen!


Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Kölln Schmelzflocken: Packungszitat.
  2. González, Carlos: Mein Kind will nicht essen (2002), S. 74.
  3. Kindergesundheit: Einführung der Beikost. http://www.kindergesundheit-info.de/fuer-eltern/ernaehrung0/ernaehrung1/einfuehrung-der-beikost/
  4. González, Carlos: Mein Kind will nicht essen (2002), S. 75.
  5. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 86.
  6. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 84.
  7. González, Carlos: Mein Kind will nicht essen (2002), S. 129.
  8. Ein Kind ist satt, wenn es satt ist (Kopf weg drehen oder andere eindeutige Zeichen) und nicht wenn der Teller leer ist!
  9. González, Carlos: Mein Kind will nicht essen (2002), S. 103.
  10. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 87.
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